Sprache des Dokuments : ECLI:EU:C:2000:99

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

FRANCIS G. JACOBS

vom 24. Februar 2000(1)

Rechtssache C-16/98

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

gegen

Französische Republik

1.
    In dieser Rechtssache geht es um die Berechnung des Wertes eines Auftrags als Grundlage der Feststellung, ob die Gemeinschaftsvorschriften über Vergabeverfahren Anwendung finden. Müssen insbesondere, wenn Aufträge über Elektrifizierungs- und Straßenbeleuchtungsarbeiten in einer Reihe von Ortschaften innerhalb eines Verwaltungsgebiets durchzuführen sind, alle oder einige von ihnen für die Zwecke der Richtlinie 93/38(2) zusammengerechnet werden, wenn sie zwar von getrennten Gebietskörperschaften vergeben werden, jedoch von einer von diesen gegründeten Einrichtung für technische und verwaltungsmäßige Unterstützung beaufsichtigt und koordiniert werden, der Inhalt der Aufträge für jede Art von Netzarbeit weitgehend identisch ist und diese untereinander vergleichbar sind, die Arbeit während des gleichen Zeitraums zu erledigen ist und die Aufforderungen zur Angebotsabgabe alle gleichzeitig veröffentlicht werden?

Die einschlägigen Vorschriften der Richtlinie

2.
    Die Kommission beanstandet, dass die Pflichten nach Artikel 4 Absatz 2, Artikel 14 Absätze 1, 10 und 13 sowie Artikel 21, 24 und 25 der Richtlinie nicht erfüllt worden seien. Von Bedeutung sind auch einige der in den Artikeln 1 und 2 festgelegten Definitionen.

3.
    Artikel 1 Absatz 1 definiert „staatliche Behörden“ als „der Staat, die Gebietskörperschaften, Einrichtungen des öffentlichen Rechts und Verbände, die aus einer oder mehreren dieser Körperschaften oder Einrichtungen des öffentlichen Rechts bestehen“. Gemäß Artikel 2 Absatz 1 gilt die Richtlinie für „Auftraggeber, die a) staatliche Behörden ... sind und die eine Tätigkeit im Sinne des Absatzes 2 ausüben ...“ Zu diesen Tätigkeiten gehören die Bereitstellung oder das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit der Produktion, dem Transport oder der Verteilung von Strom oder die Versorgung dieser Netze mit Strom.

4.
    Artikel 4 Absatz 2 bestimmt: „Die Auftraggeber sorgen dafür, dass keine Diskriminierung von Lieferanten, Unternehmen oder Dienstleistungserbringern stattfindet.“

5.
    Artikel 14 bestimmt:

„(1)    Diese Richtlinie gilt für Aufträge, deren geschätzter Wert ohne Mehrwertsteuer sich mindestens auf folgenden Betrag beläuft:

...

c)    5 000 0000 ECU bei Bauaufträgen.

...

(10)    Für die Anwendung des Absatzes 1 wird der Wert eines Bauauftrags auf der Grundlage des Gesamtwertes des Bauwerks berechnet. Ein Bauwerk ist das Ergebnis einer Gesamtheit von Hoch- und Tiefbauarbeiten, das seinem Wesen nach eine wirtschaftliche und technische Funktion erfüllen soll.

Insbesondere bei Aufteilung einer Lieferung, eines Bauwerks oder einer Dienstleistung in mehrere Lose muss der Wert jedes Loses für die Ermittlung des in Absatz 1 genannten Wertes berücksichtigt werden. Wenn der zusammengerechnete Wert der Lose dem in Absatz 1 genannten Wert entspricht oder diesen übersteigt, gilt dieser Absatz für alle Lose. Bei Bauaufträgen können die Auftraggeber jedoch von der Anwendung des Absatzes 1 bei Losen absehen, deren geschätzter Wert ohne Mehrwertsteuer unter 1 000 000 ECU liegt, sofern der zusammengerechnete Wert dieser Lose 20 % des Wertes der Gesamtheit der Lose nicht übersteigt.

...

(13)    Die Auftraggeber dürfen diese Richtlinie nicht dadurch umgehen, dass sie die Aufträge aufteilen oder für die Berechnung des Auftragswertes besondere Modalitäten anwenden.“

6.
    Die Artikel 21, 24 und 25 gehören zum Abschnitt IV - Vergabeverfahren. Artikel 21 Absatz 1 legt fest, dass ein Aufruf zum Wettbewerb durch Veröffentlichung einer Bekanntmachung nach Maßgabe einer der Anhänge der Richtlinie erfolgt, die gemäß Artikel 21 Absatz 5 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (nachstehend: Amtsblatt) veröffentlicht werden. Maßgebender Anhang ist im vorliegenden Fall Anhang XII, der eingehend die erforderlichen Angaben beschreibt. Gemäß Artikel 24 Absatz 1 teilen die Auftraggeber der Kommission für jeden vergebenen Auftrag binnen zwei Monaten die Ergebnisse des Auftragsverfahrens mit, wiederum durch eine Bekanntmachung nach Maßgabe einer der Anhänge (hier Anhang XV), die gemäß Artikel 24 Absatz 2 im Amtsblatt zu veröffentlichen ist. Gemäß Artikel 25 Absatz 1 müssen Auftraggeber den Tag der Absendung beider Arten von Bekanntmachungen nachweisen können. Artikel 25 Absatz 5 verbietet jede andere Veröffentlichung vor Absendung der Bekanntmachung an das Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften.

Sachverhalt

7.
    Im französischen Departement Vendée gründeten mehrere Gebietskörperschaften sog. syndicats intercommunaux (gemeindeübergreifendeZweckverbände) für den Betrieb der Stromversorgungsnetze(3). Im Jahr 1950 gründeten alle diese Zweckverbände und zwei einzelne Gemeinden (nachstehend: Gemeindeverbände) auf der Ebene des Departements einen regionalen Zweckverband unter dem Namen Syndicat Départmental d'Électrification de la Vendée, abgekürzt SYDEV(4). Die Gemeindeverbände wurden dadurch nicht aufgelöst, obwohl SYDEV für einige ihrer Aufgaben die Verantwortung übernahm. Nach von der französischen Regierung vorgelegten Papieren waren die Zuständigkeiten des SYDEV zur maßgebenden Zeit (1994/95) in einem arrêté préfectoral (Erlass des Präfekten) vom 3. Oktober 1960 geregelt, obzwar die maßgebenden Bestimmungen in der Folge (1997) geändert wurden.

8.
    Gemäß Artikel 1 des Erlasses von 1960 gehörten zu den Zielen des SYDEV:

„(1)    Ausübung der den Gebietskörperschaften durch Gesetz oder Verordnung übertragenen Rechte für Erzeugung, Beförderung, Verteilung und Verwendung elektrischer Energie, insbesondere nach dem Gesetz vom 8. April 1946 über die Verstaatlichung von Strom und Gas, sowie aller Aufgaben, die den beteiligten Zweckverbänden und Gemeinden übertragen wurden;

(2) Organisation der von ihnen zu erbringenden Dienstleistungen zwecks Sicherstellung des ordnungsgemäßen Betriebs und der bestmöglichen Durchführung der Stromversorgung;

(3)    allgemein Mitwirkung und Beteiligung, soweit angemessen, an allen Tätigkeiten in Zusammenhang mit Elektrizität und deren Verwendung im Rahmen der geltenden Gesetze und Verordnungen.“

9.
    Artikel 2 legt eine nicht erschöpfende Aufzählung der Tätigkeiten fest, an denen sich der SYDEV bei der Verfolgung dieser Ziele zu beteiligen hatte. Dazugehören: Vertretung der Mitglieder, Organisation von Planungs- und Forschungsdiensten verwaltungsmäßiger, rechtlicher und technischer Art; Erarbeitung einer allgemeinen Bestandsaufnahme der Bedürfnisse des Departement und Förderung der allgemeinen und periodischen Arbeitsprogramme in Zusammenhang mit der Strominfrastruktur in den Gemeinden, Vereinheitlichung der Strompreissätze, Abschluss von Vereinbarungen mit konzessionierten Stromunternehmen sowie Durchführung technischer und finanzieller Maßnahmen.

10.
    Der SYDEV wird nach seiner Satzung von 1997, nicht dagegen nach dem Erlass von 1960 als „maître d'oeuvre“ (Bauführer) und als „maître d'ouvrage“ (Bauherr) tätig.

11.
    Am 21. September 1994 sandte der SYDEV Bekanntmachungen über eine Reihe von Aufträgen zur Veröffentlichung an das Bulletin Officiel des Annonces des Marchés Publics (das französische Amtsblatt für die Bekanntmachungen öffentlicher Aufträge; nachstehend: BOAMP), von denen 37 in der vorliegenden Sache von Bedeutung sind(5). Bei den betreffenden Aufträgen handelte es sich um Ausbau- und Unterhaltungsarbeiten an bestehenden Stromversorgungs- und Straßenbeleuchtungsnetzen, die über drei Jahre hin von den Mitgliedern des SYDEV durchgeführt werden sollten. Alle Aufforderungen zur Angebotsabgabe wurden im BOAMP vom 12. Januar 1995 veröffentlicht.

12.
    Die Bekanntmachungen, um die es in der vorliegenden Rechtssache geht, betreffen 20 der 23 Mitglieder des SYDEV und bis auf drei Fälle sowohl Elektrifizierungs- als auch Straßenbeleuchtungsarbeiten für jedes Mitglied. Sie betreffen zahlenmäßig etwa 80 % sämtlicher Stromversorgungs- und Straßenbeleuchtungsnetze des Departements.

13.
    In allen im BOAMP veröffentlichten Bekanntmachungen der 37 Aufträge war der SYDEV als „organisme qui passe le marché“ (Vergabestelle) bezeichnet; Angebote waren bei der Abteilung Bauarbeiten des SYDEV an dessen Anschrift einzureichen; der betreffende Gemeindeverband war jeweils anzugeben. Die Beschreibung der Arbeiten an den Stromversorgungsnetzen war in allen Fällen dieselbe: „Elektrifizierungsarbeiten sowie die damit verbundenen Nebenarbeiten wie z. B. Tiefbauarbeiten am Telefonnetz und am Kabelfernsehnetz sowie am Beschallungsnetz“. Die Arbeiten an den Straßenbeleuchtungsnetzen waren in allen Fällen beschrieben als „Straßenbeleuchtungsarbeiten sowie die damit verbundenen Nebenarbeiten z. B. am Beschallungsnetz“.

14.
    Bei den meisten der im BOAMP veröffentlichten Bekanntmachungen lag der geschätzte Wert des einzelnen Auftrags über drei Jahre unter dem Schwellenwert für die Anwendung der Richtlinie von 5 000 000 ECU (was seinerzeit 33 966 540 FRF entsprach(6)). Der Gesamtwert belief sich hingegen auf 609 000 000 FRF (483 000 000 FRF für Elektrifizierungsaufträge und 126 000 000 FRF für Beleuchtungsaufträge). Bei einem der Elektrifizierungsaufträge und 13 der Beleuchtungsaufträge lag der geschätzte Wert unter dem Schwellenwert für die Ausnahme in Artikel 14 Absatz 10 Unterabsatz 2 Satz 3 der Richtlinie von 1 000 000 ECU (entsprechend seinerzeit 6 793 308 FRF), sofern der zusammengerechnete Wert zugleich dieser Aufträge 20 % des Wertes sämtlicher Aufträge nicht überstieg.

15.
    Fünf der Elektrifizierungsaufträge hatten jedoch einen geschätzten Wert von mehr als 5 000 000 ECU, so dass der SYDEV Bekanntmachungen über diese Aufträge und einen weiteren Auftrag, der mit 30 000 000 FRF knapp unter dem Schwellenwert lag, zur Veröffentlichung an das Amtsblatt sandte. Obwohl die Ersuchen um Veröffentlichung auf Geschäftspapier mit dem Briefkopf des SYDEV standen, trugen die Bekanntmachungen als erstes den Namen des betreffenden Gemeindeverbandes mit dem nachfolgenden Hinweis, dass die Arbeit vom SYDEV beaufsichtigt werde. Die sechs Bekanntmachungen wurden im Amtsblatt vom 6. Januar 1995 veröffentlicht(7), obwohl ihre (mit den im BOAMP veröffentlichten übereinstimmenden) Angaben nicht ausreichten, um die Positionen in Anhang XII der Richtlinie nachzuvollziehen. Als Vergabestelle war jeweils der SYDEV angegeben, dem mit einer Ausnahme der Name des jeweiligen Gemeindeverbandes folgte.

16.
    Das Vergabeverfahren entsprach dem dreistufigen Modell. Zunächst erfolgte, wie den von der französischen Regierung vorgelegten Protokollen der Vergabeverfahren zu entnehmen ist, eine erste Auswahl danach, ob alle Nachweise für die Erfüllung der Verwaltungserfordernisse und die Befähigung zur Durchführung der betreffenden Arbeiten vorgelegt worden waren. Dann wurde einer der Bewerber - offenbar nach dem Kriterium des billigsten Angebots - ausgewählt. Die Angebote waren in Form einer in Prozent ausgedrückten Differenz von der vorgeschlagenen Preisreihe abgegeben worden, wobei in allen Fällen, in denen Unterlagen vorgelegt worden waren, das Angebot mit dem niedrigsten Preis den Zuschlag erhielt. Schließlich sollte der erfolgreiche Bieter mit der Durchführung bestimmter Arbeiten im Dreijahreszeitraum betraut werden.

17.
    Bekanntmachungen über die Vergabe der 37 Aufträge, um die es im vorliegenden Fall geht, einschließlich der sechs im Amtsblatt veröffentlichten wurden im BOAMP vom 29. September 1995 veröffentlicht, wobei in jedem Fallder SYDEV als „Vergabestelle“ bezeichnet war. Keine Bekanntmachung über diese Vergaben wurde dem Amtsblatt zur Veröffentlichung übersandt. In allen Fällen zeigen die Bekanntmachungen, dass ein Unternehmen mit einer örtlichen Adresse den Auftrag erhalten hatte. Zumindest einige der erfolgreichen Bieter waren indessen große Unternehmen mit Zweigniederlassungen in ganz Frankreich; vier von ihnen waren auch bei ähnlichen Aufträgen in der Dordogne, die von der Kommission in ihrer Klageschrift aufgeführt werden, bedacht worden. In 10 der 17 Fälle, in denen Elektrifizierungs- und Straßenbeleuchtungsarbeiten für den gleichen Gemeindeverband auszuführen waren, erhielt ein und derselbe Bieter beide Aufträge, in drei Fällen wurde der Auftrag mit einem weiteren Bieter geteilt und in den verbleibenden vier Fällen wurden getrennte Aufträge verschiedenen Bietern zugeschlagen. Insgesamt waren bei den 37 Aufträgen 10 Bieter erfolgreich, wobei deren „Erfolgsrate“ von einem geteilten Auftrag bis zu acht vollen und zwei geteilten Aufträgen und von 6 000 000 FRF bis zu 114 000 000 FRF nebst einem Anteil von 48 000 000 FRF reicht.

18.
    Die französische Regierung hat Protokolle der Vergabeverfahren für die Elektrifizierungs- und Beleuchtungsaufträge für drei der örtlichen Zweckverbände vorgelegt, für die eine Aufforderung zur Angebotsabgabe (für den Elektrifizierungsauftrag) im Amtsblatt veröffentlicht worden war. Sie lassen nicht erkennen, ob irgendein „nichtörtliches“ Unternehmen Angebote abgegeben hatten (Anschriften fehlen), wohl aber lässt sich feststellen: i) alle Protokolle liegen in gleicher Form vor und tragen im Briefkopf den Namen SYDEV; ii) die allgemeinen Bedingungen der Aufforderungen zur Angebotsabgabe besagen: „Die Arbeiten werden auf dem Gebiet des Syndicat ausgeführt, die genaue Festlegung der zu erstellenden Bauwerke (.ouvrages à construire') wird später vom SYDEV dem erfolgreichen Bieter mitgeteilt“; iii) die Mitglieder der Ausschüsse, die die Angebote öffneten und beschieden, waren für die einzelnen örtlichen Zweckverbände verschieden (wobei ein Vertreter des SYDEV bei einigen, aber nicht bei allen, Gelegenheiten anwesend war), und Angebote wurden an verschiedenen Tagen oder zu verschiedenen Zeiten geöffnet; iv) die Bieterliste ist bei den drei örtlichen Zweckverbänden und den zwei Arten von Aufträgen für jeden von ihnen ähnlich, obgleich nicht identisch; und v) die Angebote der einzelnen Bieter für die gleiche Art von Auftrag in verschiedenen Gemeinden waren nicht immer identisch.

Verfahren

19.
    Die Kommission wurde darauf hingewiesen, dass die vorgenannten Vergabeverfahren möglicherweise gegen Gemeinschaftsrecht verstießen. Am 17. Januar 1996 sandte sie der französischen Regierung ein förmliches Aufforderungsschreiben, in dem sie feststellte, dass mehrere Lose als getrennte Aufträge behandelt worden seien, dass bei zwei Dritteln der Lose eine Veröffentlichung auf Gemeinschaftsebene fehle und dass das Verfahren zu beanstanden sei. Die französische Regierung bestritt eine Vertragsverletzung. Am 7. April 1997 übersandte die Kommission ihr daher eine mit Gründen versehene Stellungnahme gemäß Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG), in derbeanstandet wurde, dass i) unzutreffende Angaben zum Umfang der Aufträge zu Diskriminierungen von Bietern aus anderen Mitgliedstaaten geführt hätten; ii) ein einziges Arbeitsprogramm unter geographischen und technischen Vorwänden aufgeteilt worden sei, um die Veröffentlichung einer Reihe von Losen im Amtsblatt zu umgehen; iii) die Begriffe der Vergabeeinheit, des Zusammenschlusses von Vergabeeinheiten, der Lose und Aufträge falsch angewandt worden seien; und iv) das angewandte Verfahren in der Richtlinie nicht vorgesehen sei.

20.
    Am 22. Januar 1998 hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben, mit der sie die Feststellung beantragt, dass die Französische Republik mit dem vom Syndicat Départemental d'Électrification de la Vendée im Dezember 1994 eingeleiteten Verfahren zur Vergabe von Elektrifizierungs- und Straßenbeleuchtungsarbeiten gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 4 Absatz 2, 14 Absätze 1, 10 und 13 sowie aus den Artikeln 21, 24 und 25 der Richtlinie 93/38/EWG verstoßen hat. Die Kommission und die Französische Republik haben in der Sitzung vom 16. November 1999 mündlich verhandelt.

Erörterung

Anwendbarkeit der Richtlinie

21.
    Die in Rede stehenden Aufträge wurden Anfang 1995 bekannt gemacht und vergeben. Aufgrund des Urteils des Gerichtshofes in der Rechtssache C-311/96 (Kommission/Frankreich)(8) steht fest, dass die Richtlinie zu dieser Zeit in Frankreich noch nicht umgesetzt worden war; unstreitig ist hingegen, dass die zuständigen Behörden sie hätten beachten müssen und dass die Kommission wegen eines Einzelverstoßes gegen eine noch nicht umgesetzte Richtlinie Klage erheben kann(9).

Die beanstandeten Verstöße

22.
    Die Kommission erhebt zwei grundlegende Beanstandungen. Sie macht zunächst und in erster Linie geltend, dass der SYDEV einen im Sinne der Richtlinie einheitlichen Auftrag unter technischen und geographischen Vorwänden in eine Reihe kleinerer Aufträge aufgeteilt und dadurch in den meisten Fällen die Veröffentlichung im Amtsblatt vermieden, mögliche Bieter über den wahren Umfang der Arbeiten getäuscht und es zum Nachteil insbesondere von Bietern aus anderen Mitgliedstaaten für andere als lokale Unternehmen wesentlich weniger attraktiv habe erscheinen lassen, ein Angebot abzugeben. Zweitens beanstandet sie, dass die zur Veröffentlichung im Amtsblatt vorgesehenen Bekanntmachungen derAufforderung zur Angebotsabgabe unvollständig gewesen und Bekanntmachungen über die Vergabe nicht erfolgt seien.

Unvollständige Angaben und unterlassene Bekanntmachung von Vergaben

23.
    Die französische Regierung tritt der zweiten Rüge, die sich auf den Verstoß gegen die Artikel 21 (mangelhafte Angaben in den dem Amtsblatt übersandten Bekanntmachungen), 24 und 25 der Richtlinie bezieht, im Wesentlichen nicht entgegen(10). Sie räumt ein, dass die Angaben unvollständig gewesen und Bekanntmachungen über die Vergabe nicht übersandt worden seien. Es ist daher unstreitig, dass die Französische Republik dadurch, dass bei den sechs Aufforderungen zur Angebotsabgabe, die im Amtsblatt veröffentlicht wurden, keine vollständigen Angaben gemacht und Einzelheiten über die Vergabe dieser Aufträge nicht mitgeteilt wurden, gegen ihre Pflichten nach Artikel 21 Absatz 1 sowie Artikel 24 Absätze 1 und 2 der Richtlinie verstoßen hat.

24.
    Da außer Streit steht, dass mit Ausnahme der sechs veröffentlichten Aufforderungen zur Angebotsabgabe keine Bekanntmachungen übermittelt wurden, halte ich es nicht für erforderlich oder tunlich, dass der Gerichtshof Feststellungen zu dem unterlassenen Nachweis des Zeitpunkts der Absendung gemäß Artikel 25 Absatz 1 der Richtlinie trifft. Auch ein Verstoß gegen Artikel 25 Absatz 5 lag bei den übersandten Bekanntmachungen nicht vor, weil die dem Gerichtshof vorgelegten Dokumente belegen, dass sie am gleichen Tag an das Amtsblatt und das BOAMP abgesandt worden sind.

Umfang der Beanstandung der Aufteilung der Aufträge

25.
    Kernfrage ist, ob die Aufträge für die Zwecke von Artikel 14 Absatz 10 hätten zusammengerechnet werden müssen und/oder ob ihre Aufteilung gegen Artikel 14 Absatz 13 verstieß, was in beiden Fällen unter Verstoß gegen Artikel 21 zum Unterbleiben der Veröffentlichung der Bekanntmachung im Amtsblatt geführt hätte.

26.
    Nach Auffassung der französischen Regierung war es richtig, alle Lose als getrennte Aufträge über getrennte Arbeiten zu behandeln.

27.
    Die Kommission steht auf dem Standpunkt, dass die Aufträge für die Anwendung der Richtlinie als Lose ein und desselben Gesamtauftrags und nicht - weder unter geographischen (getrennte Aufträge für jeden Gemeindeverband) noch unter technischen Aspekten (verschiedene Aufträge für Elektrifizierung und Beleuchtung) - getrennt hätten behandelt werden dürfen.

28.
    Der Standpunkt der Kommission weist drei Möglichkeiten der Strukturierung auf: die Elektrifizierungs- und Beleuchtungsarbeiten hätten für jeden Gemeindeverband, nicht aber für das Departement, als Ganzes behandelt werden müssen; die gesamten Elektrifizierungs- und die gesamten Beleuchtungsarbeiten hätten für das gesamte Departement als zwei eigene Gesamtlose behandelt werden müssen, und schließlich hätten alle Arbeiten beider Arten für das ganze Departement als ein Ganzes behandelt werden müssen. Als Letztes bleibt natürlich die von der französischen Regierung vertretene Möglichkeit übrig.

29.
    Von den 37 Bekanntmachungen, um die es im vorliegenden Fall geht, betrafen fünf einen geschätzten Wert von mehr als 5 000 000 ECU, diese fünf und eine weitere (allesamt Elektrifizierungsaufträge) wurden tatsächlich im Amtsblatt veröffentlicht. 14 Bekanntmachungen (mit einer Ausnahme Beleuchtungsaufträge) betrafen Beträge unter 1 000 000 ECU.

30.
    Wären die Elektrifizierungs- und Beleuchtungsaufträge jeweils für einen Gemeindeverband zusammengerechnet worden (wenn also die Aufteilung aus geographischen, aber nicht aus technischen Gründen gerechtfertigt gewesen wäre), so hätte der Wert die Schwelle von 5 000 000 ECU lediglich in einem Fall überschritten - in dem für den Elektrifizierungsauftrag (30 000 000 FRF) eine Bekanntmachung im Amtsblatt veröffentlicht worden war und der Beleuchtungsauftrag sich auf weniger als 1 000 000 ECU und 20 % des Gesamtwerts für den Gemeindeverband belaufen hatte. Sollte daher festzustellen sein, dass die Aufträge zu Recht auf die einzelnen Gemeindeverbände aufgeteilt worden seien, dass aber die Aufteilung in Elektrifizierung und Beleuchtung nicht gerechtfertigt sei, wäre nur der Verstoß festzustellen, dass keine Aufforderungen zur Angebotsabgabe für Beleuchtungsarbeiten für die verbleibenden fünf Gemeindeverbände veröffentlicht wurden, für die Bekanntmachungen über Elektrifizierungsaufträge veröffentlicht wurden und bei denen die Beleuchtungsaufträge sich auf mehr als 1 000 000 ECU beliefen.

31.
    Würden andererseits alle Aufträge in der jeweiligen Gruppe für das Departement zusammengerechnet (wenn die Aufteilung aus technischen, nicht aber die aus geographischen Gründen gerechtfertigt wäre), so wäre die Schwelle von 5 000 000 ECU in beiden Gruppen klar überschritten. Ein einziger Elektrifizierungsauftrag (über 6 000 000 FRF) wäre dann nicht unter die Veröffentlichungspflicht gefallen, da er unter der Schwelle von 1 000 000 ECU und 20 % des Gesamtbetrags für Elektrifizierung gelegen hätte. Die Beleuchtungsaufträge unterhalb des Schwellenwerts machen mehr als 20 % des Gesamtbetrags für Beleuchtung aus, aber bis zu sechs von ihnen könnten befreit sein, bevor der Prozentsatz (etwa 25 000 000 FRF) überschritten würde. Wenn also die Aufteilung aus technischen, nicht aber die aus geographischen Gründen gerechtfertigt wäre, würde der Verstoß 12 Elektrifizierungs- und 12 Beleuchtungsaufträge betreffen.

32.
    Würden schließlich alle Aufträge für beide Gruppen für das Departement zusammengerechnet (wenn weder eine Aufteilung aus technischen noch eine solche aus geographischen Gründen gerechtfertigt wäre), dann wären alle 14 Aufträge unter der Schwelle von 1 000 000 ECU von der Veröffentlichungspflicht befreit, da sie sich auf weniger als 20 % des Gesamtwerts beliefen. Der Verstoß würde dann 12 Elektrifizierungs-, aber nur 5 Beleuchtungsaufträge betreffen.

33.
    Es sind daher beide Arten der Aufteilung zu erörtern, weil sich die drei denkbaren Strukturierungsansätze der Zusammenrechnung unterschiedlich auswirken.

Artikel 14 Absatz 10 und Artikel 14 Absatz 13: Zusammenrechnung und Aufteilung

34.
    Nach Artikel 14 Absatz 1 gilt die Richtlinie für Bauaufträge, deren geschätzter Wert sich auf mindestens 5 000 000 ECU beläuft. Gemäß Artikel 14 Absatz 10 ist für die Anwendung des Absatzes 1, wenn das Werk in mehrere Lose aufgeteilt ist, der Gesamtwert sämtlicher Lose zu berechnen. Artikel 14 Absatz 13 bestimmt, dass die Auftraggeber die Richtlinie nicht durch Aufteilung der Aufträge umgehen dürfen.

35.
    Es ließe sich sagen, dass Artikel 14 Absatz 10 und Artikel 14 Absatz 13 die gleiche Regel mit unterschiedlichen Worten zum Ausdruck bringen. Meiner Meinung nach sind sie indessen zu unterscheiden.

36.
    Artikel 14 Absatz 10 legt rein objektive Kriterien fest, auf deren Grundlage festgestellt werden kann, ob die Richtlinie Anwendung findet. Der Begriff „Bauwerk“ wird definiert; sein Gesamtwert, der, falls erforderlich, durch Zusammenrechnung der Werte der Lose zu ermitteln ist, in die es möglicherweise aufgeteilt ist, ist dafür maßgebend, ob die Richtlinie zu beachten ist oder nicht.

37.
    Artikel 14 Absatz 13 führt demgegenüber ein subjektives Element ein, wenn er davon spricht, durch bestimmte Verhaltensweisen, insbesondere durch Aufteilung von Aufträgen oder die Anwendung besonderer Modalitäten für die Berechnung des Auftragwerts, die Richtlinie zu „umgehen“. Dieser Wortlaut deutet auf eine bestimmte Absicht hin, die mit der gewählten Vorgehensweise verfolgt wird. Umgehung bedeutet wie die entsprechenden Begriffe in anderen Sprachfassungen ein absichtliches Verhalten, nicht ein zufälliges Ergebnis. Sowohl die Aufteilung von Aufträgen als auch die Verwendung besonderer Berechnungsmethoden setzen eine bestimmte Absicht voraus.

38.
    Allerdings scheint Artikel 14 Absatz 13 der Richtlinie 93/38 von der entsprechenden Bestimmung (Artikel 6 Absatz 4) der am gleichen Tag erlassenenRichtlinie 93/37(11) abzuweichen, in der es heißt: „Bauwerke oder Bauaufträge dürfen nicht in der Absicht aufgeteilt werden, sie der Anwendung dieser Richtlinie zu entziehen“ (Hervorhebung nur hier). Gleichwohl halte ich den Unterschied nicht für erheblich; die Bedeutung ist dieselbe und es fehlt jeder Hinweis auf einen Willen des Gesetzgebers, den Aspekt der Absicht aus dem Verbot zu entfernen. Wäre dies der Fall gewesen, so wäre sicherlich eine neutralere Fassung gewählt worden. In diesem Zusammenhang darf darauf hingewiesen werden, dass der auf Ersuchen des Gerichtshofes vorgelegte „Leitfaden zu den Gemeinschaftsvorschriften für die Vergabe von öffentlichen Bauaufträgen ...“ der Kommission zu dem Verbot der Richtlinie 93/37 ausdrücklich feststellt, dass „[es] ... für jede Form von Aufteilungen [gilt], die nicht durch objektive Gründe gerechtfertigt sind und ausschließlich zu dem Zweck erfolgen, die Anwendung der Richtlinie zu umgehen“.

39.
    Ein Verstoß gegen Artikel 14 Absatz 13 kann daher ohne Vorliegen einer Absicht nicht nachgewiesen werden.

40.
    Außerdem verbietet Artikel 14 Absatz 13 das „Aufteilen“ von Aufträgen. Dieser Begriff betont nicht nur den Aspekt der Absicht, sondern setzt auch das Vorliegen eines Auftrags voraus, der bei normalem Lauf der Dinge als ein einziges Ganzes behandelt worden wäre, aber - hiervon abweichend - in mehrere Aufträge aufgeteilt worden ist.

41.
    Hat die Kommission nachgewiesen, dass die in Rede stehenden Aufträge von den betreffenden Verbänden normalerweise als Ganzes behandelt worden wären, zur Umgehung der Anwendung der Richtlinie indessen mit Absicht aufgeteilt worden sind?

42.
    Meines Erachtens ist das zu verneinen.

43.
    Es ist ganz im Gegenteil kein Beweis dafür vorgelegt worden, dass die Praxis des SYDEV und der Gemeindeverbände bei den in Rede stehenden Aufträgen anders ausgesehen hätte als sonst. Die von der französischen Regierung vorgelegten Unterlagen stützen ihren Vortrag, dass das Vorgehen dem in der Vendée Üblichen entsprochen habe, und gegenteilige Beweise sind von der Kommission nicht vorgebracht worden. In der Sitzung hat die französische Regierung darauf aufmerksam gemacht, dass man sich, hätte die Absicht bestanden, die Richtlinie zu umgehen, wohl um mehr Diskretion bemüht hätte.

44.
    Die Hinweise der Kommission auf die Praktiken in zwei anderen Departements sind insoweit mangels Beweisen für eine in ganz Frankreichdurchgehend befolgte Praxis nicht von besonderer Bedeutung(12). Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob, wie die Kommission meint, es gesundem Menschenverstand entspräche, Stromversorgungs- und Straßenbeleuchtungsarbeiten zusammen zu behandeln - das werde ich im Zusammenhang mit Artikel 14 Absatz 10 eingehender nachprüfen -, falls nicht nachgewiesen wird, dass sie unter Missachtung einer solchen Denkweise mit Absicht aufgeteilt wurden. Auch ist der gesunde Menschenverstand häufig schwer zu fassen.

45.
    Dem Vorwurf eines Verstoßes gegen Artikel 14 Absatz 13 ist nur dann Erfolg beschieden, wenn - möglicherweise auf der Grundlage einer Abweichung von dem, was gängige Praxis war - eine Absicht zur Umgehung der Richtlinie nachgewiesen werden kann. Für beides ist von der Kommission kein Beweis erbracht worden, noch kann beides aus den Gesamtumständen, die ich noch eingehender untersuchen werde, erschlossen werden. Meines Erachtens sollte der Gerichtshof nicht zu der Feststellung gelangen, dass die Französische Republik in diesem Fall ihre Pflichten nach Artikel 14 Absatz 13 der Richtlinie nicht erfüllt habe.

46.
    Die bisherigen Erwägungen lassen indessen die Möglichkeit unberührt, dass die Richtlinie aus objektiven Gründen nach Artikel 14 Absatz 10 hätte Anwendung finden müssen, und dass die Französische Republik die entsprechende Pflicht verletzt hat. Die Prüfung dieser Vorschrift ist daher in meiner Untersuchung entscheidend.

Identität der Vergabestelle

47.
    Zunächst indessen ist eine Frage zu klären, die die Parteien ausführlich erörtert haben: Ist es für die Zwecke des Gemeinschaftsrechts von Belang, ob es eine einzige Vergabestelle (den SYDEV) oder eine Reihe getrennter Vergabestellen (die Gemeindeverbände als Mitglieder des SYDEV) gab?

48.
    Die Auffassung der französischen Regierung geht im Wesentlichen dahin, dass die Frage der Einheitlichkeit des jeweiligen Werks nicht von der Frage der Einheitlichkeit der Vergabestelle zu trennen ist: Ein einheitliches Bauwerk kann nicht vorliegen, wenn es mehrere Vergabestellen gibt. Sie hat daher energisch herausgestellt, dass jeder Gemeindeverband eine eigene Vergabestelle (maître d'ouvrage nach französischem Recht) gewesen sei, während der SYDEV zur maßgeblichen Zeit rechtlich nicht in der Lage gewesen sei, anders denn als technische Kontrollstelle, Manager und Koordinator der verschiedenen Arbeiten (als maître d'oeuvre) tätig zu werden.

49.
    Die Kommission wollte diesem Vorbringen wohl zunächst mit dem Hinweis begegnen, dass die wahre Vergabestelle in allen Fällen der SYDEV gewesen sei. In Beantwortung einer Frage in der Sitzung führte sie dann aus, dass die Identität der Vergabestelle kein für die Anwendung des Artikels 14 Absatz 10 wesentlicher Faktor sei, da das Zusammenrechnungserfordernis nach dieser Vorschrift auch für Aufträge gelten könne, die von einer Reihe von Vergabestellen erteilt würden, falls sie nur einem „Bauwerk“ im Sinne dieser Vorschrift gälten.

50.
    Diesem Standpunkt pflichte ich bei.

51.
    Die Definition des „Bauwerks“ in Artikel 14 Absatz 10 stellt nicht auf die Identität der Vergabestelle ab, und sie entspricht damit den Denkgesetzen. Ziel der Richtlinie ist es, wie sich ihren Begründungserwägungen, ihren Vorschriften und dem Zusammenhang anderer Gemeinschaftsbestimmungen über das öffentliche Vergabewesen entnehmen lässt, den Markt für den gemeinschaftsweiten Wettbewerb in den geregelten Bereichen zu öffnen. Die wesentlichen Mittel zu diesem Zweck sind, dass Standardverfahren verwendet und Aufforderungen zur Angebotsabgabe auf Gemeinschaftsebene veröffentlicht werden müssen und dass Bieter nicht diskriminiert werden dürfen. Es würde indessen keinem Zweck dienen und erheblich unnütze Verwaltungsarbeit verursachen, wenn das für alle Aufträge unabhängig von ihrem Wert und von der Wahrscheinlichkeit gelten würde, dass sie mögliche Bieter aus anderen Mitgliedstaaten interessieren könnten. Die Schwellen (5 000 000 ECU und 1 000 000 ECU für Bauaufträge) sollen diesem Anliegen dienen. Um allerdings sicherzustellen, dass diese Schwellen wirklich eingehalten werden, gelten Vorschriften, die die absichtliche Umgehung verbieten (Artikel 14 Absatz 13) und ihre mögliche Nichtanwendung verhindern, wenn ein einziges Gesamtbauvorhaben aus anderen - möglicherweise sonst rechtmäßigen - Gründen aufgeteilt wird (Artikel 14 Absatz 10).

52.
    Damit soll sichergestellt werden, dass Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten die Möglichkeit erhalten, Angebote für Aufträge oder Auftragsbündel abzugeben, die sie objektiv nach ihrem Schätzwert interessieren dürften. Ob solche Aufträge von einem oder von mehreren Vergabestellen vergeben werden, ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend. Es mag berechtigte Gründe namentlich im Bereich der Verwaltung geben, Aufträge für Teile eines einzigen Vorhabens getrennt von mehreren Vergabestellen vergeben zu lassen; das verringert indessen keineswegs das Interesse, das das Gesamtvorhaben wahrscheinlich für ein entsprechend qualifiziertes Unternehmen in einem anderen Mitgliedstaat hat. Man kann sich z. B. ein Vorhaben vorstellen, das eine Straße betrifft, die durch das Gebiet verschiedener Gebietskörperschaften führt, von denen jede für einen Abschnitt verantwortlich ist. Das Ziel der Richtlinie würde nicht erreicht werden, wenn ihre Anwendung ausgeschlossen wäre, weil der Schätzwert jedes einzelnen Abschnitts lediglich 3 000 000 ECU betrüge.

53.
    Richtig ist zwar, dass die Definition des Auftrags in Artikel 1 Absatz 4 der Richtlinie besagt, dass es sich um Verträge handelt, die von „einem der in Artikel 2 aufgeführten Auftraggeber“ (Hervorhebung von mir) abgeschlossen werden, so dass man annehmen könnte, jeder Auftrag müsse im Sinne von Artikel 14 von einer eigenen Vergabestelle vergeben werden. Artikel 2 spricht indessen von „Auftraggebern“ in der Mehrzahl und gliedert sie in zwei Gruppen, nämlich staatliche Behörden oder öffentliche Unternehmen und andere. Wahrscheinlich soll daher die Definition in Artikel 1 Absatz 4 auf Auftraggeber einer der in Artikel 2 erwähnten Gruppen abstellen. Außerdem umfasst die Definition der „staatlichen Behörden“, wie die Kommission herausgestellt hat, auch „Vereinigungen, die von einer oder mehreren dieser Behörden gegründet wurden“, was bedeutet, dass Auftraggeber nicht notwendig eine einzige staatliche Behörde und auch nicht notwendig derjenige ist, der den Auftrag tatsächlich vergibt. Außerdem ist klar, dass das Kriterium des „Gesamtwertes des Bauwerks“ in Artikel 14 Absatz 10 nicht dem Wert eines einzelnen Auftrags entsprechen kann, weil die Vorschrift sonst sinnlos wäre. Aufgrund dieser Erwägungen schlage ich vor, der Verwendung der Einzahl in Artikel 1 Absatz 4 für die Zwecke des Artikels 14 nicht allzu viel Bedeutung beizumessen.

54.
    Für die Frage eines Verstoßes gegen Artikel 14 Absatz 10 der Richtlinie ist es also ohne Belang, ob hier eine Reihe von Vergabestellen oder nur eine einzige Vergabestelle, nämlich der SYDEV, tätig war.

Artikel 14 Absatz 10 der Richtlinie 93/38: ein „Bauwerk“ oder mehrere?

55.
    Die entscheidende Frage ist, ob die einzelnen Aufträge, die von den Gemeindeverbänden jeweils für Elektrifizierungs- und Beleuchtungsarbeiten vergeben wurden, ein einheitliches „Bauwerk“ - oder eine Reihe größerer, entweder geographisch oder technisch zusammengefasster „Bauwerke“ - im Sinne der Richtlinie bildeten und daher hätten zusammen behandelt werden müssen.

56.
    Ein „Bauwerk“ wird in Artikel 14 Absatz 10 definiert als „Ergebnis einer Gesamtheit von Hoch- und Tiefbauarbeiten, das seinem Wesen nach eine wirtschaftliche und technische Funktion erfüllen soll“: eine nicht besonders genaue Definition, und auch die Leitlinien der Kommission sind hier nicht besonders hilfreich. Wie es in einem Aufsatz heißt: „Ein einzelnes Bauwerk auszumachen, dürfte so sein wie das Erkennen des sprichwörtlichen Elefanten: die Auftraggeber werden es erkennen, wenn sie es sehen“(13). Im vorliegenden Fall allerdings hat der Gerichtshof einige Hinweise darauf zu liefern, wie man einen Elefanten erkennen kann.

57.
    Zum einen könnte man mit dem Zweck der Richtlinienbestimmungen beginnen. Deren Ziel ist es im Wesentlichen, wie ich bereits sagte, sicherzustellen, dass Unternehmen in der gesamten Gemeinschaft in die Lage versetzt werden, sich um Aufträge oberhalb eines bestimmten Schwellenwerts zu bewerben, der diese Bemühung wirtschaftlich interessant macht. Da in mehreren Fällen Elektrifizierungs- und Beleuchtungsaufträge in mehreren Ortschaften an den gleichen Bieter vergeben wurden - woraus abgeleitet werden kann, dass theoretisch ein einzelner Auftragnehmer die gesamten Arbeiten beider Arten im gesamten Departement hätte durchführen können - und sieben der zehn erfolgreichen Bieter Aufträge von insgesamt beträchtlich mehr als 5 000 000 ECU erhielten, hätten Bieter aus anderen Mitgliedstaaten folgerichtig die Möglichkeit zur Teilnahme erhalten sollen. In der Sitzung brachte die Kommission vor, dass das Erfordernis, eine Reihe von Losen als ein einziges „Bauwerk“ zu behandeln und sie im Amtsblatt zu veröffentlichen, dann gilt, wenn die Lose so miteinander verbunden sind, dass ein Unternehmen der Gemeinschaft sie wahrscheinlich als ein einziges wirtschaftliches Vorhaben betrachtet und sich für das Ganze bewerben möchte, wie dies ihres Erachtens hier der Fall gewesen sei.

58.
    Ich halte dies indessen nicht für den richtigen Ansatz. Artikel 14 Absatz 10 bezieht sich auf die wirtschaftliche und technische Funktion, die die vergebenen Tätigkeiten ihrem Wesen nach erfüllen sollen, und nicht auf das Interesse eines möglichen Bieters, vollständig informiert zu werden, auch wenn eines der übergreifenden Ziele der Richtlinie der Schutz und die Förderung dieses Interesses ist. Auch wenn die Bestimmungen der Richtlinie im Licht ihrer Ziele ausgelegt werden sollten, ist das Kriterium hier doch ein besonderes. Wir müssen auf die beabsichtigte wirtschaftliche und technische Funktion abstellen und nicht auf die Art und Weise, in der das Bauwerk von möglichen Bietern gesehen wird.

59.
    Das Kriterium des Artikels 14 Absatz 10 bedeutet meines Erachtens, dass die Grenzlinie zwischen Losen, die für die Zwecke der Richtlinie zusammengerechnet werden müssen, und Losen, die zu Recht getrennt behandelt werden dürfen, zwischen Auftragsbündeln, die von ihrer Zielsetzung her eine gemeinsame wirtschaftliche und technische Funktion aufweisen, und solchen verläuft, bei denen dies nicht der Fall ist.

60.
    Der Standpunkt der Kommission geht im Wesentlichen dahin, dass das Vorhaben im vorliegenden Fall ein mehrjähriges Elektrifizierungsprogramm für die gesamte Vendée war und daher eine einzige wirtschaftliche und technische Funktion aufwies. Sie stellt heraus, dass die Beschreibung der Lose innerhalb der jeweiligen Kategorie identisch und bei beiden Kategorien ähnlich sei, wobei alle Arbeiten in der gleichen Zeit und innerhalb des gleichen geographischen und verwaltungsmäßigen Bereichs zu erledigen gewesen seien. Der Begriff des „Bauwerks“ könne in einem Fall wie dem vorliegenden nicht auf eine spezifische Konstruktion oder Baulichkeit beschränkt werden.

61.
    Die französische Regierung meint, dass getrennte Verbesserungs- und Ausbaumaßnahmen an einer Reihe von unabhängigen Netzen nicht als ein einheitliches „Bauwerk“ betrachtet werden könnten, das eine einzige wirtschaftliche und technische Funktion erfüllen solle. Wenn eine spezifische Konstruktion oder Baulichkeit fehle, sei es Sache der Vergabestelle, ihre Bedürfnisse festzulegen und damit die Identität des „Bauwerks“ zu bestimmen. Im vorliegenden Fall habe jeder Gemeindeverband seine eigenen Bedürfnisse in Zusammenhang mit seinen eigenen Netzen unabhängig von einem hypothetischen Gesamt-„Bauwerk“ festgelegt.

62.
    Beide Parteien haben dem Gerichtshof nur recht unvollständige Beschreibungen der betreffenden Netze vorgelegt. Den Ausführungen der französischen Regierung, denen die Kommission insoweit nicht widersprochen hat, ist aber wohl zu entnehmen, dass die Gemeindeverbände für einzelne Niederspannungs-Verteilernetze verantwortlich sind, die von Umspannstationen ausgehen und Verbraucher innerhalb ihres Bereichs versorgen, dass diese Netze zusammengeschaltet werden können und dass die Straßenbeleuchtungsnetze, die von einzelnen Gemeindeverbänden kontrolliert werden, von diesen Stromversorgungsnetzen versorgt werden.

- Elektrifizierung und Straßenbeleuchtung: technische Maßgaben

63.
    Die Kommission betont, dass die Beschreibung beider Arten von Arbeiten (Elektrifizierung und Straßenbeleuchtung) Arbeiten am öffentlichen Beschallungsnetz umfasse und beide Arten von Arbeiten in der gleichen Aufforderung zur Angebotsabgabe enthalten gewesen seien, die von dem SYDEV vergleichbaren Stellen in zwei anderen französischen Departements (Calvados und Dordogne) 1995 veröffentlicht worden seien. Die französische Regierung unterstreicht, dass die Arbeiten am Stromversorgungsnetz im Wesentlichen Tiefbauarbeiten, die Arbeiten am Straßenbeleuchtungsnetz hingegen im Wesentlichen Hochbauarbeiten seien und dass beide Arten von Arbeiten nach dem allgemeinen Verzeichnis der wirtschaftlichen Tätigkeiten in der EG (NACE) in Anhang XI der Richtlinie unter verschiedene Positionen fielen („Tiefbau“ bzw. „Installation“). In der Sitzung gab sie zu verstehen, dass Arbeiten an Straßenbeleuchtungsnetzen möglicherweise überhaupt nicht unter die Richtlinie fallen könnten, da diese Netzarbeiten weder Erzeugung, Lieferung, Transport oder Verteilung von Strom beträfen(14), sondern eher deren Verbrauch zugunsten der Öffentlichkeit.

64.
    Von diesen Erwägungen halte ich nur die letzte für erheblich. Sie beleuchtet - auch wenn man nicht davon ausgehen möchte, dass Straßenbeleuchtung völlig außerhalb des Bereichs der Richtlinie liegt - die Unterscheidung, die man zwischen beiden Arten von Netzen im Hinblick auf die geplante wirtschaftliche und technische Funktion treffen könnte. Ein Stromversorgungsnetz ist - in technischerHinsicht - dazu bestimmt, Strom von einem Lieferanten zu einzelnen Endverbrauchern zu befördern, die - wirtschaftlich gesehen - diesem Lieferanten das bezahlen müssen, was sie verbrauchen. Ein Straßenbeleuchtungsnetz besorgt die Beleuchtung öffentlicher Orte. Es ist selbst Endverbraucher des Stroms, der ihm über das Stromversorgungsnetz geliefert wird. Die Körperschaft, die diesen Dienst erbringt, muss selbst die Kosten übernehmen - die sie sich von der begünstigten Bevölkerung eher auf dem Weg über örtliche Steuern als auf der Grundlage persönlicher Nutzungsentgelte wieder zurückholt.

65.
    Ein Stromversorgungsnetz und ein Straßenbeleuchtungsnetz sollen daher meines Erachtens unterschiedliche wirtschaftliche und technische Funktionen erfüllen. Folglich bin ich nicht der Auffassung, dass Arbeiten zur Erhaltung, Verbesserung und/oder Erweiterung von Netzen dieser beiden Arten - innerhalb des gleichen Bereichs oder auch nicht - zusammen als ein einziges „Bauwerk“ im Sinne von Artikel 14 Absatz 10 betrachtet werden können.

66.
    Dieser Schluss wird durch die übrigen Erwägungen der Kommission nicht entkräftet. Dass ein öffentliches Beschallungssystem in beiden Arten von Aufforderungen zur Angebotsabgabe als „anfallende damit verbundene“ Arbeit genannt wird, bedeutet nicht, dass eine einheitliche wirtschaftliche oder technische Funktion vorläge. Verschiedene Teile eines öffentlichen Beschallungssystems werden etwa durch Installationsrohre für die Stromverteilung und über Straßenbeleuchtungsmasten verlegt, so dass Arbeiten an beiden Netzen auch Arbeiten am Beschallungsnetz hervorrufen können, ohne jedoch die wirtschaftliche oder technische Funktion der Netze selbst zu berühren. Auch kann der Umstand, dass sich andere Auftraggeber entschieden haben, Arbeiten an beiden Netzen in einem Auftrag zusammenzufassen, grundsätzlich nicht entscheidend dafür sein, ob solche Bautätigkeiten als Ganzes gesehen eine einheitliche wirtschaftliche und technische Funktion erfüllen sollen.

67.
    Es bedarf daher im vorliegenden Fall nicht der Entscheidung, ob Straßenbeleuchtung unter die Richtlinie fällt, zumal diese Frage vor dem Gerichtshof nicht ausreichend erörtert worden ist. Ist es indessen nicht der Fall, dann können diese Arbeiten offenkundig nicht mit Elektrifizierungsarbeiten im Sinne der Richtlinie zusammengerechnet werden.

68.
    Damit komme ich zu dem Ergebnis, dass es im Sinne der Richtlinie einer Zusammenrechnung der Werte der Elektrifizierungs- und Beleuchtungsaufträge weder für das Departement als Ganzes noch für die einzelnen Gemeindeverbände bedurfte. Offen bleibt damit noch die Frage, ob nicht die Aufträge für das gesamte Departement in jeder der beiden Kategorien jeweils für sich genommen hätten zusammengerechnet werden müssen.

- Elektrifizierung: technische und geographische Maßgaben

69.
    Offenbar(15) ist jeder Gemeindeverband für das Stromversorgungsnetz in seinem Bereich verantwortlich, obwohl die Netze miteinander verbunden sind und der Strom vom nationalen Unternehmen EDF geliefert wird. Die Kommission verweist auf die geographische Nachbarschaft der Netze, die Gleichzeitigkeit der Arbeitsprogramme, die Übereinstimmung der Arbeitsbeschreibungen und die Gesamtkoordinierung durch den SYDEV. Die französische Regierung hebt vor allem hervor, dass jeder Gemeindeverband für sein eigenes Netz einen eigenen Auftrag erteilt habe.

70.
    Die letztgenannte Erwägung ist - so mein Ergebnis(16) - nicht maßgebend für die Feststellung, ob im Sinne der Richtlinie ein einheitliches „Bauwerk“ vorlag. Der vorliegende Sachverhalt lässt sich wohl mit dem von mir angeführten Beispiel einer öffentlichen Straße vergleichen, die durch die Gebiete mehrerer Gemeindeverbände führt. Obwohl die einzelnen Gemeindeverbände aus administrativen Gründen für die Niederspannungsstromnetze in ihren Gebieten verantwortlich sind, sollen diese verbundfähigen Netze zusammengenommen doch nur eine einzige wirtschaftliche und technische Funktion erfüllen: Weiterleitung und Verkauf des von der EDF erzeugten und gelieferten Stroms an die Verbraucher.

71.
    Es trifft zwar zu, dass dieser Gedankengang, wie die französische Regierung betont hat, für das gesamte französische Stromversorgungsnetz gelten könnte. Ich teile hier aber die Auffassung der Kommission, dass im vorliegenden Fall das „Bauwerk“ klar durch das eingegrenzt wird, was man die drei Einheiten nennen könnte - Ort, Zeit und Handlung. Alle hier in Rede stehenden Elektrifizierungsaufträge betrafen Arbeiten, die in ein und demselben Department während der gleichen Zeit zu erfüllen waren, die gleiche allgemeine Bezeichnung trugen und der gleichen technischen Kontrolle unterlagen. Nichts deutet darauf hin, dass Arbeiten gleicher Art zur gleichen Zeit in einem größeren Bereich zu erledigen gewesen wären - etwa in benachbarten Departements oder Regionen oder am gesamten nationalen Stromnetz. Es ist insbesondere unwahrscheinlich, dass solche Arbeiten der Aufsicht des SYDEV unterstellt worden wären. Wäre dies allerdings der Fall gewesen, dann hätte gesagt werden können, dass alle diese Arbeiten im Sinne der Richtlinie ein einziges „Bauwerk“ waren. In diesem Fall wäre nun meines Erachtens die Schlussfolgerung nicht jene Reductio ad absurdum gewesen, auf die die französische Regierung hinaus will, sondern eher die, dass alle Aufforderungen zur Angebotsabgabe im Amtsblatt hätten veröffentlicht werden müssen.

72.
    Dass die Aufträge eine Reihe unterschiedlicher Maßnahmen betreffen, die zu unterschiedlichen Punkten in Zeit und Raum (innerhalb des gleichen Zeitraums und des gleichen geographischen Gebiets) auszuführen waren, bedeutet nicht, dass sie nicht als einheitliches „Bauwerk“ betrachtet werden sollten. DieserGedankengang würde am Ende bedeuten, dass jede Maßnahme ein eigenes „Bauwerk“ wäre, und selbst die französische Regierung hat uns nicht bedeutet, dass dem so sein sollte. Ganz im Gegenteil: Maßnahmen, die innerhalb einer bestimmten Zeit an einer Gruppe von Netzen auszuführen sind, die eine gemeinsame wirtschaftliche und technische Funktion aufweisen, sind selbst so zu behandeln, als erfüllten sie eine gemeinsame wirtschaftliche und technische Funktion. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass sich der Erlass(17) in seinem Wortlaut auf das „allgemeine Inventar der Anforderungen des Departements“ bezieht - das bestätigt mein Ergebnis.

73.
    Ich gelange damit zu der Auffassung, dass alle in Rede stehenden Elektrifizierungsaufträge ein einziges „Bauwerk“ im Sinne von Artikel 14 Absatz 10 der Richtlinie waren. Ihre Werte hätten für die Feststellung, ob Aufforderungen zur Angebotsabgabe im Amtsblatt hätten veröffentlicht werden müssen, zusammengerechnet werden müssen. Tatsächlich wurden sechs solcher Aufforderungen veröffentlicht, und ein weiterer Auftrag belief sich auf einen Schätzwert unter 1 000 000 ECU und 20 % des Gesamtwerts und war daher als Ausnahme gemäß Artikel 14 Absatz 10 Unterabsatz 2 zu werten. Die Nichtveröffentlichung der Bekanntmachungen für die übrigen 12 Aufträge, die alle Schätzwerte oberhalb dieser Schwelle im Gesamtbetrag von etwas über 26 000 000 ECU aufwiesen, stellte indessen einen Verstoß gegen die Richtlinie dar.

74.
    Dieser Verstoß stellt nicht nur eine Missachtung von Artikel 14 Absätze 1 und 10 der Richtlinie dar, soweit es die Berechnung des Werts des Bauwerks betrifft, sondern auch eine Missachtung von Artikel 21 Absätze 1 und 5, weil keine Bekanntmachungen abgefasst und zur Veröffentlichung an das Amtsblatt gesandt wurden, und von Artikel 25 Absatz 5, weil Bekanntmachungen im BOAMP erfolgten.

- Straßenbeleuchtung: technische und geographische Maßgaben

75.
    Dieselbe Argumentation ist auf die an den Straßenbeleuchtungsnetzen auszuführenden Arbeiten wohl schwieriger anzuwenden. Es trifft gewiss zu, dass die wirtschaftliche und technische Funktion aller Netze dieselbe ist, sie erfüllen aber doch deshalb, wie ich meine, nicht dieselbe Funktion.

76.
    Man hat uns zwar nicht weiter dargelegt, wie die Straßenbeleuchtung in der Vendée organisiert ist, doch halte ich die Annahme nicht für unvernünftig, dass die Netze voneinander unabhängig sind, wie die französische Regierung uns vorträgt. Da die Straßenbeleuchtung eine Maßnahme ist, die Strom verbraucht, für den jeder zuständige Gemeindeverband bezahlen muss, erscheint eine Zusammenschaltung, anders als bei einem Stromnetz, das ein Liefersystem mit einem einzigen Lieferanten darstellt, nicht sinnvoll. Jedes Netz wird vermutlich von einem eigenenPunkt des Stromlieferungssystems beliefert, so dass der Verbrauch jedes einzelnen Gemeindeverbandes ermittelt werden kann. Die Beleuchtung ist darüber hinaus im Allgemeinen auf bebaute Gebiete beschränkt. Wenn solche Gebiete durch offenes Land voneinander getrennt sind, wie dies bei einem durch Landwirtschaft geprägten Departement wie der Vendée überwiegend der Fall sein dürfte, berühren sich die einzelnen Netze wohl nicht. Verschiedene Gemeindeverbände dürften darüber hinaus recht unterschiedliche Standpunkte zur Straßenbeleuchtung einnehmen: Manche möchten eine möglichst großzügige Leistung anbieten, während andere eher das Geld des Steuerzahlers durch Beschränkung auf ein striktes Minimum sparen möchten.

77.
    Diese Erwägungen beruhen im Hinblick auf die besonderen Umstände des vorliegenden Falles weitgehend auf Vermutungen. Die französische Regierung hat indessen die wechselseitige Unabhängigkeit der einzelnen Netze herausgestellt, die Kommission hingegen keinen gegenteiligen Beweis vorgelegt. Insbesondere gibt es keinen Beleg für irgendeinen übergreifenden wirtschaftlichen Faktor, wie es etwa ein einheitliches System örtlicher Besteuerung im gesamten Departement bieten könnte, das für die Kosten der Beleuchtung aufkäme.

78.
    Ich bin daher der Auffassung, dass die Kommission das Vorliegen einer gemeinsamen wirtschaftlichen und technischen Funktion im Sinne von Artikel 14 Absatz 10 der Richtlinie nicht belegt hat und dass die Zusammenrechnung der Werte aller Straßenbeleuchtungsaufträge zur Bestimmung der Anwendbarkeit der Richtlinie nicht erforderlich war, selbst wenn man annimmt, dass die Straßenbeleuchtung unter diese Richtlinie fällt.

Artikel 4 Absatz 2: Diskriminierung von Bietern

79.
    Die Kommission bringt hier im Kern vor, die französischen Behörden hätten dadurch, dass sie nur eine Auswahl aus den Aufforderungen zur Angebotsabgabe im Amtsblatt veröffentlicht hätten, Bieter aus anderen Mitgliedstaaten benachteiligt, da diese in Unkenntnis des Gesamtwerts der Arbeiten und des Ausmaßes ihres Interesses an diesen entweder beschlossen hätten, sich nicht an der Ausschreibung zu beteiligen, oder aber verhältnismäßig höhere Gemeinkosten angesetzt und damit ungünstigere Angebote abgegeben hätten als Unternehmen, die aus dem BOAMP eine bessere Kenntnis des Umfangs der Arbeiten gewonnen hätten. Die französische Regierung, die sich in erster Linie auf die Verneinung jeglicher willkürlichen Aufteilung stützt, behauptet, dass keine Bieter diskriminiert worden seien, da alle aufgefordert worden seien, ein Angebot mit einem prozentualen Abschlag auf den Schätzwert verschiedener Kategorien von Arbeiten abzugeben, um auf dieser Grundlage besondere, später festzulegende Arbeitsvorhaben durchzuführen.

80.
    Da Artikel 4 Absatz 2 die Diskriminierung insbesondere von „Lieferanten, Unternehmen oder Dienstleistungserbringern“ verbietet, kann man sich die Frage stellen, ob er auch für Diskriminierungen unter Bietern oder a fortiori (da wir nichterfahren haben, dass irgendein Unternehmen aus einem anderen Mitgliedstaat im vorliegenden Fall tatsächlich ein Angebot abgegeben hätte) möglichen Bietern gilt.

81.
    Das ist meines Erachtens zu bejahen. Zum einen werden die Begriffe „Lieferanten“, „Unternehmen“ und „Dienstleistungserbringer“ in der Richtlinie nicht definiert, während „Bieter“ in Artikel 1 Absatz 6 definiert wird als „der Lieferant, Unternehmer oder Dienstleistungserbringer, der ein Angebot einreicht“. Der Ausdruck „Unternehmer“ wird also in der Richtlinie nicht im Sinne einer Person verwendet, die einen Auftrag erhalten hat, sondern in dem weiteren Sinne jemandes, der sich um einen Auftrag bemüht.

82.
    Nach Artikel 4 Absatz 1 - dieser Artikel ist, das ist hervorzuheben, die erste materielle Vorschrift der Richtlinie, die in gewissem Umfang den Rahmen für alles Folgende absteckt - sind die Auftraggeber verpflichtet, sich „bei der Vergabe ihrer ... [A]ufträge oder der Durchführung ihrer Wettbewerbe ...“ an die Richtlinie zu halten. Die Gegenüberstellung von „Vergabe“ und „Durchführung“ legt nahe, den Ausdruck „Vergabe“ so zu verstehen, dass er das gesamte Verfahren umfasst und nicht nur dessen Schlussabschnitte, und Artikel 4 Absatz 2 muss daher meines Erachtens denselben Anwendungsbereich haben.

83.
Der Gerichtshof hat darüber hinaus entschieden, dass die Pflicht zur Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung dem Wesen der ursprünglichen Gemeinschaftsrichtlinie für öffentliche Bauaufträge(18) entsprochen habe und in Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 90/531(19), dem unmittelbaren und nahezu identisch abgefassten Vorläufer von Artikel 4 Absatz 2 unserer Richtlinie, verankert worden sei. Obwohl der Gerichtshof diesen Grundsatz als Pflicht zur Gleichbehandlung von Bietern verstand, gehe ich davon aus, dass er seiner Natur nach auch für diejenigen gelten muss, die vom Mitbieten abgehalten wurden, weil sie benachteiligt wurden.

84.
    Demgemäß und im Hinblick auf das Ergebnis, zu dem ich bezüglich der unterbliebenen Zusammenrechnung der Elektrifizierungsaufträge gekommen bin, stehe ich auf dem Standpunkt, dass die Kommission einen Verstoß gegen Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie nachgewiesen hat. Unabhängig davon, ob im vorliegenden Fall Bieter aus anderen Mitgliedstaaten - angesichts der offenbaren Vorteile einerörtlichen Niederlassung und des Risikos, nur für einen Teil der Gesamtarbeiten den Zuschlag zu erhalten und damit wahrscheinlich ihre Fixkostenrechnung gefährdet zu sehen - tatsächlich interessiert gewesen wären, wurde ihnen jedenfalls eine Entscheidung auf einer angemessenen Grundlage unmöglich gemacht, weil im Amtsblatt keine vollständigen Angaben zu dem gesamten „Bauwerk“ veröffentlicht wurden, wie dies erforderlich gewesen wäre. Bietern hingegen, die sich im BOAMP informierten - wahrscheinlich überwiegend Franzosen -, standen weitere Angaben zur Verfügung.

85.
    Bei den sechs tatsächlich im Amtsblatt veröffentlichten Aufforderungen zur Angebotsabgabe waren indessen die Angaben dieselben wie die im BOAMP veröffentlichten, so dass die unterbliebene Bekanntmachung aller nach Artikel 21 Absatz 1 der Richtlinie in Verbindung mit Anhang XII der Richtlinie erforderlichen Angaben nicht zu einer Diskriminierung geführt hat.

Kosten

86.
    Da nach meiner Auffassung die Kommission Verstöße gegen die Richtlinie wegen der unterbliebenen Veröffentlichung der erforderlichen Einzelheiten der Elektrifizierungsarbeiten im Amtsblatt, nicht aber einen Verstoß gegen Artikel 14 Absatz 13 oder irgendeinen Verstoß bei den in Rede stehenden Beleuchtungsaufträgen nachgewiesen hat, sollten den Parteien gemäß Artikel 69 § 3 der Verfahrensordnung ihre eigenen Kosten auferlegt werden.

Ergebnis

87.
    Aufgrund der vorstehenden Erwägungen sollte der Gerichtshof

1.    feststellen, dass die Französische Republik mit dem Vergabeverfahren des Syndicat Départmental d'Électrification de la Vendée im Dezember 1994 betreffend die Vergabe von Elektrifizierungsaufträgen

-    dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 4 Absatz 2, Artikel 14 Absätze 1 und 10, Artikel 21 Absätze 1 und 5 und Artikel 25 Absatz 5 der Richtlinie 93/38/EWG verstoßen hat, dass unterlassen wurde, eine Aufforderung zur Angebotsabgabe für 12 Aufträge mit einem Schätzwert von je über 1 000 000 ECU als Teil eines einzigen Bauwerks im Sinne von Artikel 14 Absatz 10 der Richtlinie im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften zu veröffentlichen;

-    dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 21 Absatz 1 dieser Richtlinie verstoßen hat, dass bei sechs im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Aufforderungen zur Angebotsabgabe keine vollständigen Angaben nach Anhang XII der Richtlinie gemacht wurden;

-    dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 24 Absätze 1 und 2 dieser Richtlinie verstoßen hat, dass keine Einzelheiten über die Vergabe aller Aufträge übermittelt wurden;

2.    die Klage im Übrigen abweisen;

3.    jeder Partei ihre eigenen Kosten auferlegen.


1: -     Originalsprache: Englisch.


2: -     Richtlinie 93/38/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (ABl. L 199, S. 84).


3: -     Obwohl der rechtliche Rahmen dem Gerichtshof weder von der Kommission noch von der französischen Regierung erläutert worden ist, scheinen normalerweise aufgrund vor allem der Gesetze vom 15. Juni 1906 und vom 8. April 1946 die örtlichen Verwaltungen für die Stromlieferung in ihren Bereichen zuständig zu sein, für die sie nach Standardbedingungen Konzessionen an das nationale Unternehmen Electricité de France (EDF) vergeben, das ein Quasi-Monopol für die Erzeugung und Lieferung von Strom besitzt. Vgl. z. B. J. Bergougnoux und W. Varoquaux, „Caractéristiques du service public de l'éléctricité“, Cahiers juridiques de l'électricité et du gaz (CJEG), 1987, Librairies Techniques, Paris, S. 811; P. Sablières, „Le nouveau modèle de cahier des charges pour la concession à l'Electricité de France de la distribution publique d'électricité“, CJEG, 1993, S. 1; P. Sablières, „Le nouveau cahier des charges type de la concession du reseau d'alimentation générale en énergie électrique“, CJEG, 1995, S. 87.


4: -     Das scheint in Frankreich üblich zu sein; vgl. Schlussanträge von Regierungskommissarin Devillers vom 17. September 1997 in der Sache SIEP/Staat und SDE, Cour administrative d'appel Nantes, CJEG, 1998, S. 398.


5: -     Die Kommission bezieht sich während des gesamten Vorverfahrens und in ihren Schriftsätzen auf 36 Verträge. Da die Zahl der im BOAMP veröffentlichten Verträge höher war, ersuchte der Gerichtshof um Aufklärung. Die Kommission listete daraufhin in ihrer Antwort 37 Verträge auf, die ihrer Meinung nach in dieser Sache von Bedeutung waren; die französische Regierung hat dieser Festlegung des Streitgegenstands nicht widersprochen.


6: -     Vgl. die Anzeige der Kommission vom 18. Dezember 1993 (ABl. C 340, S. 10).


7: -     ABl. 1995, S 3, S. 211 bis 213.


8: -     Urteil vom 29. Mai 1997 in der Rechtssache C-311/96 (Kommission/Frankreich, Slg. 1997, I-2939).


9: -     Vgl. Urteil vom 11. August 1995 in der Rechtssache C-431/92 (Kommission/Deutschland, Slg. 1995, I-2189, Randnrn. 19 bis 23).


10: -     Vgl. Nr. 6 dieser Schlussanträge.


11: -     Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 199, S. 54).


12: -     Es sei darauf hingewiesen, dass nach den Bekanntmachungen über die Vergabe von Aufträgen für das Department Dordogne, die mit der Klageschrift vorgelegt wurden, zusätzlich zu dem Verfahren, auf das sich die Kommission bezieht, gleichzeitig getrennte Verfahren für die nördlichen, nordöstlichen und südwestlichen Teile des Departement durchgeführt wurden.


13: -     Adrian Brown, „Getting to Grips with Aggregation under the EC Public Procurement Rules“, Public Procurement Law Review, 1993, S. 69, 72.


14: -     Vgl. Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie, zitiert in Fußnote 3.


15: -     Vgl. Fußnote 2 und Nr. 62 dieser Schlussanträge.


16: -     Vgl. Nrn. 51 bis 54 dieser Schlussanträge.


17: -     Zitiert in Nr. 9 dieser Schlussanträge.


18: -     Richtlinie 71/305/EWG des Rates vom 26. Juli 1971 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 185, S. 5) in der Fassung des Artikels 1 Absatz 6 der Richtlinie 89/440/EWG des Rates vom 18. Juli 1989 (ABl. L 210, S. 1); vgl. Urteil vom 22. Juni 1993 in der Rechtssache C-243/89 (Kommission/Dänemark, Slg. 1993, I-3353, Randnr. 33).


19: -     Richtlinie 90/531/EWG des Rates vom 17. September 1990 betreffend die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationsbereich (ABl. L 297, S. 1); vgl. Urteil vom 25. April 1996 in der Rechtssache C-87/94 (Kommission/Belgien, Slg. 1996, I-2043, Randnrn. 51 und 52).